Im Oktober war ich das erste Mal auf einer Kaffeemesse bzw. einem Coffee Festival. Beim Frankfurt Coffee Festival, um genau zu sein. Dort hatte ich nicht nur die Gelegenheit, tolle Kaffees zu probieren und das erste Mal in meinem Leben Barista und Latte Art Meisterschaften beizuwohnen, sondern auch jemanden kennenzulernen, der an einer anderen Stelle in der Kaffee-Lieferkette unterwegs ist, als die meisten, die ich bisher treffen durfte. Das sind, wie euch auffällt, wenn ihr meine Blogartikel lest, entweder Café-Betreibende oder Röstereien. Markos hingegen importiert Rohkaffee aus Guatemala. Beim Frankfurt Coffee Festival hat er einen kurzen Vortrag gehalten, allerdings nicht zum Thema Rohkaffee, sondern zu seinem Herzensprojekt: White Flag Coffee.
Wie ist White Flag Coffee entstanden?
White Flag Coffee ist ein Projekt, das seinen Ursprung in der Corona-Krise hat. Diese hat wirtschaftlich und strukturell schwächere Länder natürlich noch härter getroffen als zum Beispiel Deutschland. Markos und seine Partnerin Christina waren im Frühjahr 2020 gerade in Guatemala unterwegs und steckten wortwörtlich dort während des ersten Lockdowns fest. Was sie dann erlebten, bewegte sie zur Gründung von White Flag Coffee. Menschen fingen an, weiße Flaggen aus ihren Fenstern zu halten als Zeichen dafür, dass sie kein Geld und auch keine Lebensmittel mehr hatten. In Guatemala arbeiten viele Menschen auf einer tagtäglichen Basis und es gibt auch kein Sozialversicherungsnetz, welches sie in solchen Situationen auffangen könnte. Der Staat hat dafür nichts vorgesehen. Deshalb bedeutete der Lockdown für diese Menschen einen Einkommens-Stopp von heute auf morgen und die meisten Einwohner:innen hatten keine Rücklagen, auf die sie zugreifen konnten.
Markos und Christina, die mit ihrem Rohkaffeeimport “Meet los amigos” in Deutschland sitzen, bekamen wie fast alle deutschen Unternehmen staatliche Unterstützung. Diese ganz besondere Situation inspirierte sie dann zu White Flag Coffee.
Die erste Idee war es zunächst den sogenannten White Flag Coffee ins Leben zu rufen und den gesamten Erlös des Verkaufs dieses Kaffees an eine NGO zu spenden, die First Aid Kits für alle Familien in Not bereitstellte. Das Projekt war sehr erfolgreich und lief auch nach der ersten Corona Welle weiter. Nach ungefähr zwei Jahren begannen Markos und Christina aber die Idee zu hinterfragen. Spenden und Helfen ist natürlich gut, aber wäre es nicht viel nachhaltiger an die Wurzel des Problems zu gehen? Sie hätten an dieser Stelle auch wieder schnell resignieren können und die Ursache bei der Politik oder der Pandemie an sich suchen können. Die beiden waren und sind jedoch so voller Tatendrang und Leidenschaft, dass sie den Fokus auf ein anderes Thema rückten: Bildung. Bildung ist schließlich überall auf der Welt die Basis, um sich einen Lebensunterhalt und finanzielle Stabilität zu ermöglichen.

Bildung ist der Schlüssel
Nichts lag also näher, als sich für mehr Bildung und Wissenstransfer in der Kaffeeindustrie einzusetzen. In kaffeeproduzierenden Ländern findet sich aktuell erstaunlich wenig Wissen über alles, was in der Kaffeelieferkette nach der Ernte passiert. Die Wertschöpfung hingegen liegt genau dort. In den Anbauländern gibt es nur wenige Röstereien oder Cafés mit ausgebildeten Fachkräften. Es gibt keine offiziellen Bildungswege. So entstand die Idee, eine Schule zu eröffnen. Aber die beiden wollten das Ganze von Anfang an größer denken und entwarfen einen Lehrplan, der an bereits existierenden Schulen eingesetzt werden kann. Damit ist das Wissen nicht auf einen Ort begrenzt, sondern kann sich in ganz Guatemala und demnächst auch in anderen Ländern verbreiten.
Noch steht White Flag Coffee aber ganz am Anfang und arbeitet aktuell an der ersten Implementierung des Lehrplans an einer Schule in Jocotenango, in der Nähe von Antigua Guatemala. Diese Schule selbst ist erst drei Monate alt und im Prinzip eine Art Ausbildungszentrum für diverse Berufsrichtungen. Die Jugendlichen können sich hier orientieren und ihr Talent entdecken, sei es in Kunst, Musik, Sport, Gastronomie oder Informatik. Dieses Zentrum war also der perfekte Ort, um das erste Coffee Lab von White Flag Coffee zu integrieren.
Im Lehrplan sind nun alle Bereiche der Kaffee-Lieferkette abgedeckt: Es beginnt mit landwirtschaftlichem Know-how für den Anbau und die Ernte von Kaffee, das Betreiben einer Rösterei und eines Cafés, aber auch Wissen über den Export von Rohkaffee.
Die Schulen in Guatemala, die Kaffeewissen vermitteln, haben ihren Fokus ausschließlich auf Anbau, Produktion und Ernte. Die wenigsten jungen Menschen möchten aber in dieser meist wenig lukrativen Sparte arbeiten. Alle kaffeeproduzierenden Länder leiden mehr und mehr darunter, dass nachkommende Generationen die Fincas nicht übernehmen möchten. White Flag Coffee möchte daher in allen Teilen der Kaffee-Wertschöpfungskette ausbilden und damit den Kaffee-Sektor auch wieder für junge Menschen interessanter machen.
“Ich wünsche mir, dass junge Menschen das Ausbildungsprogramm von White Flag Coffee entdecken und sich sagen: Wow, ich schließe also die Schule ab, lerne dann hier in Theorie und Praxis alles über Kaffee und kann mir anschließend einen Lebensunterhalt aufbauen, mit dem ich ein gutes Leben führen kann. Das ist es, was wir mit White Flag Coffee erreichen möchten.” erklärt mir Markos in unserem Gespräch, welches wir nach dem Coffee Festival telefonisch führen konnten.
Aktueller Stand bei White Flag Coffee ist, dass der Lehrplan steht und aktuell an zwei Stellen noch zusätzlich zertifiziert bzw. offiziell anerkannt werden soll. Zum einen beim Bildungsministerium von Guatemala und zum anderen von der Specialty Coffee Association. Gerade Letzteres würde internationale Türen für das Projekt öffnen und es maßgeblich stärken.
Um nun richtig loszulegen, fehlt es in der Schule in Jocotenango aktuell noch an Equipment. Beim Frankfurt Coffee Festival hat Markos das Thema bereits platzieren können und auch jetzt freut sich White Flag Coffee weiterhin über alle Sachspenden, die Röstereien oder Cafés machen können. Wenn du etwas abgeben kannst für die Schule, meld dich am besten direkt bei Markos.

Wer sind Markos und Christina?
Markos und Christina sind nicht nur die Menschen hinter White Flag Coffee, sondern auch das Team hinter dem Rohkaffeeimport Meet los Amigos. Sie importieren Kaffee ausschließlich aus Guatemala. Markos arbeitet direkt vor Ort mit Kooperativen und Fincas zusammen, um für sie die bestmöglichen Abverkäufe nach Europa zu erzielen. Außerdem hat Markos ein Café in Antigua, in dem in Zukunft auch die Auszubildenden der Schule in Jocotenango lernen und arbeiten werden. Markos arbeitet seit ca. 6 Jahren im Spezialitätenkaffee und kommt aus einer Familie von Kaffee Exporteuren. Christina hingegen kommt aus der Medienbranche, ist Innovationscoach und lebt in Deutschland.
White Flag Coffee braucht natürlich auch wie jedes gemeinnützige Projekt finanzielle Unterstützung. Daher arbeiten Markos und Christina gerade daran, das Konzept auf andere Rohkaffeeimporteure zu übertragen. Das bedeutet, dass diese ebenfalls einen Teil ihres Umsatzes in das Projekt stecken würden, so wie es die beiden zu Beginn der Pandemie mit den First Aid Kits getan haben.
Eine anderer Weg der Finanzierung, unabhängig von Spenden, ist die Kaffeeschule zu vermieten. Röstereien oder Cafés sollen die Schule mieten können, um dort Kurse durchzuführen.
Lebensrealität in Guatemala
Bei unserem Interview habe ich Markos gebeten, mir ein paar Insights über die Kaffeeszene in Guatemala zu geben. Man bekommt schließlich nicht alle Tage die Chance mit jemandem zu sprechen, der sich vor Ort bestens auskennt. Wie schon erwähnt ist es bekannt, dass neben dem Anbau nicht viel in den Ländern um den Kaffeegürtel passiert, aber ich wollte es ganz konkret wissen. Markos verriet mir: „Guatemala ist berühmt für sehr qualitativen Kaffee. Das Mikroklima ist bestens geeignet für Spezialitätenkaffee. 81 Punkte und mehr sind durchaus üblich bei guatemaltekischen Kaffees. Röstereien gibt es nicht viele, vielleicht 10 im ganzen Land. In den letzten Jahren sind aber immer mehr Specialty Coffeeshops dazu gekommen.”
Guatemala hat ein sehr großes Migrationsproblem. Der Lebensstandard ist so niedrig, dass besonders viele junge Leute das Land verlassen. Die meisten Jugendlichen müssen mit 14 oder 15 Jahren anfangen, in Vollzeit zu arbeiten, um die Familie zu unterstützen. Die wenigsten schließen die Schule ab. Und an dieser Stelle beginnt der Teufelskreis, denn ohne irgendeine Form von Ausbildung bleiben die Betroffenen immer im Niedriglohnsektor. Was bedeutet eigentlich Niedriglohn in Guatemala? Auch hier hat Markos mir konkrete Einblicke gegeben: “Ein ausgebildeter Barista, der in Vollzeit in Guatemala arbeitet, verdient im Monat 500 USD. In den USA bekommt ein ungelernter Erntehelfer in Vollzeit 2000 USD im Monat. Der Unterschied ist riesig und ein Grund für illegale Einwanderung.”
Ziel von White Flag Coffee ist es deshalb, Menschen zu befähigen, sich selbst finanzielle Freiheit zu ermöglichen. Denn die Realität ist, wie wir sehen, leider die, dass die meisten Kinder und Jugendlichen, wenn sie eine öffentliche Schule besuchen können, danach nicht studieren werden und ein richtiges Ausbildungssystem existiert ebenfalls nicht. Das “Centro de Oportunidades“, wie die Schule in Jocotenango heißt, ist wortwörtlich ein Zentrum der Möglichkeiten, welches es in dieser Form so in Guatemala noch nicht gibt.
Markos: “Ich glaube wirklich, dass wir mit Spezialitätenkaffee eine Veränderung bewirken können. Es klingt vielleicht kitschig, aber ich glaube, dass wir in dieser Branche eine größere Aufgabe haben als großartigen Kaffee zu produzieren, ihm Scores zu geben und darüber zu philosophieren. Wir können wesentliche Dinge verändern – in der Gesellschaft und in den Leben der Menschen, die mit Kaffee arbeiten.”

Mehr als ein Spendenprojekt
Das Wichtige hierbei ist nicht aus einer Mitleidsperspektive die Situation zu betrachten, sondern auf Augenhöhe zu agieren. Auf Augenhöhe. Mein Stichwort. Das betone ich schließlich in all meinen Artikel immer wieder. Denn ich schreibe jetzt seit 2,5 Jahren über Kaffee. Mein Hauptaugenmerk lag immer darauf, euch tolle Röstereien, Cafés oder Projekte vorzustellen, die mit Kaffeeproduzierenden mehr als fairen Handel betreiben. Die im besten Falle ihren Import als Direct Trade bezeichnen können, das Dreifache vom Fair Trade Preis zahlen, Abnahmen zusichern und vorfinanzieren und so vieles mehr. All dies sind großartige Dinge und auch genau das, was in der Hand derjenigen liegt. Aber Markos hat was ganz Einleuchtendes zu mir gesagt: “Was bringt es den Kaffeeproduzierenden mehr zu zahlen, wenn sie nicht wissen, wie sie dieses Geld investieren sollen?” Und das macht absolut Sinn. Wissenstransfer ist essenziell, um die Produzierenden zu befähigen, sich selbst in eine bessere Position zu rücken. White Flag Coffee geht an die Wurzel des Problems und diese liegt nicht in der Bezahlung, sondern in der Bildung.